Vorwort
Mitglieder der Psychotherapeutenkammer Berlin haben vor einiger Zeit eine Arbeitsgemeinschaft Klimakrise („Klima-AG“) gegründet. Sie sind vernetzt mit den bundesweit organisierten „psychologists/psychotherapists for future“. Ein Bundeskongress der Psychologists4Future (Psy4F) fand im September 2023 in Berlin statt. Im November 2023 veranstaltete die Klima-AG der Psychotherapeutenkammer Berlin einen Onlinevortrag zum Thema „Wie man sich die Klimakrise vom Leib hält, sie einen doch wieder einholt und was man konstruktiv damit machen kann“. Referentin war Diplom-Psychologin Delaram Habibi-Kohlen, niedergelassene Psychoanalytikerin (Bergisch-Gladbach), Mitglied bei den Psychotherapists for Future. Im September 2024 hatte „Fridays for Future“ zu einem weiteren „Klimastreik“ mit Kundgebungen und Demonstrationen aufgerufen, die auch von den „psychologists/psychotherapists for future“ unterstützt wurden. Die Psychotherapeutin Lea Dohm sprach aus diesem Anlass in den ARD-„Tagesthemen“ aus psychologischer Sicht über die vielfältigen globalen Krisen, die ein Überforderungsgefühl hervorrufen würden. Dohm veröffentlichte 2022 zusammen mit Mareike Schulze das Buch „Klimagefühle – Wie wir an der Umweltkrise wachsen statt zu verzweifeln“ (Knaur-Verlag). Der Landespsychotherapeutentag der Berliner Psychotherapeutenkammer stellte im Oktober 2024 das Thema „Angst essen Seele auf – Psychotherapie in Krisenzeiten“ in den Mittelpunkt. Der Berliner Psychotherapeut Manfred Thielen berichtete anschließend auf der Internetseite der Kammer über das Thema und stellte die Frage, „Wie können Ängste und Überforderungsgefühle überwunden werden?“
Für die Klimabewegung ist es ausgemachte Tatsache, dass die „Klimakrise ... die Existenz der gesamten Menschheit und natürlich auch unsere psychische Gesundheit“ gefährdet. Es handele sich „um die größte Krise der Menschheit“ (Psy4F). Sie fordert einen baldigen Ausstieg aus den fossilen Energien (in Deutschland bis 2030 statt 2038). Die Verbrennung fossiler Energieformen setze Kohlendioxid frei. Die Erhöhung der CO₂-Konzentration bewirkt, dass mehr Erdwärmeabstrahlung zurückgehalten wird. Die globale Temperatur steigt an. CO₂ ist mit über 50 % am anthropogenen (durch Menschen verursachten) Treibhauseffekt beteiligt, insbesondere durch die Industrialisierung. Die Klimaerwärmung sei nur ein Ausschnitt aus der gegenwärtigen Krisenlage: „Die rücksichtslose Ausbeutung von Ökosystemen, Lebewesen und Ressourcen zeigt sich immer drastischer in multiplen Krisen: unter anderem in Klimakrise, Biodiversitätskrise, Naturzerstörung, Umweltvergiftung, Massentierquälerei und Ressourcenkrisen“ (Psy4F).
Psy4F setzt sich für eine globale „sozial-ökologische Transformation“ ein. Es seien grundlegende Veränderungen menschlicher Lebens- und Wirtschaftsweisen auf allen gesellschaftlichen Ebenen erforderlich, welche letztlich auch der seelischen Gesundheit zugutekämen. Speziell Psychologen sollten „individuelle, partizipative und kollektive Wirksamkeit durch Vermittlung von psychologischem Wissen“ stärken und im Klimaschutz Engagierte unterstützen. Das sei eine berufspolitische Aufgabe. Es müsse verhindert werden, dass Menschen angesichts der globalen Bedrohungen resignieren und sich ins Private zurückziehen.
Zu diesem Thema möchte ich gern Stellung nehmen.
Die Prämisse von Psy4F und anderen Protagonisten lautet, dass es eine globale Klimaerwärmung mit weiteren Begleiterscheinungen gibt, die die Menschheit in ihrer Existenz gefährdet. Die Schlussfolgerung aus der Prämisse lautet, dass weltweit sofort und massiv CO₂-Emissionen reduziert werden müssen. Über die Umsetzung dieser Forderung und ihre mutmaßlichen Folgen ist wenig bis nichts bekannt.
An der Prämisse sind Zweifel angebracht. Die Erde besitzt eine Temperatur, die nicht konstant sein kann, so wie alle dynamischen Systeme nicht konstant sind. Die beschleunigte globale Temperaturerhöhung soll hier nicht in Frage gestellt werden, obwohl gefragt werden könnte, wie eine präzise Messung auf einer Erdoberfläche möglich ist, die zu 70 Prozent aus Wasser besteht und deren feste Erdoberfläche zu einem größeren Teil unbewohnt ist.
Es heißt, die aktuelle Klimaerwärmung sei „menschengemacht“. Das heißt, frühere Klimaschwankungen waren nicht menschengemacht. Es gab sie schon, als noch keine Menschen auf der Erde lebten. Das heißt, es muss auch andere als „menschengemachte“ Gründe geben. Inwieweit sind diese aktuell wirksam? Sind menschliche Aktivitäten (Konsum) die einzige Ursache für die aktuelle Klimaerwärmung oder sind sie eine Ursache unter anderem? Neben CO₂ tragen weitere Gase zur Klimaerwärmung bei: Methan, Distickstoffoxid, Fluorkohlenwasserstoffe und Schwefelhexafluorid. Diese stehen nicht im Fokus, obwohl sie ein höheres Erwärmungspotenzial haben sollen als Kohlendioxid. Wenn es schon früher Temperaturschwankungen gab, welche Faktoren waren damals ausschlaggebend? Und wirken diese Faktoren eventuell heute noch? Wenn ja, relativieren sie dann den „menschengemachten“ Anteil?
Die Klimaerwärmung und der Klimawandel bedrohen die Menschheit als Ganzes, heißt es. Die „Last Generation“ behauptet, sie sei die letzte Generation, die das Steuer noch herumreißen kann. Welche Auswirkungen haben Klimaerwärmung und der Klimawandel und sind diese als schlimm zu bewerten? Der erste Teil der Frage ist deskriptiv, der zweite Teil normativ.
Wenn die gesamte Menschheit in ihrem Bestand bedroht ist, dann auch die gesamte Biologie. Die Ausrottung der gesamten Biologie scheint unwahrscheinlich, folglich ist auch die Ausrottung nur der Menschheit unwahrscheinlich. Es entspricht nicht der Logik, dass nur ein spezieller Teil der Biologie untergeht, ein anderer Teil nicht. Als vernetztes System werden alle Teile mehr oder weniger von einer Veränderung betroffen sein. Veränderung ist ein natürlicher Prozess, den es schon immer gegeben hat. Ein Temperaturanstieg von einem Grad in den vergangenen 150 Jahren ist eine recht geringe Veränderung.
Angenommen, es stimmt, dass extreme Wetterereignisse seit gewisser Zeit zunehmen, so ist auch richtig, dass sich die Auswirkungen der Klimaerwärmung nicht gleichmäßig über den gesamten Globus verteilen, sondern regional unterschiedlich sind. Die Zunahme an Extremen muss nicht zu mehr Todesfällen oder versicherten Sachschäden führen. Es ist anzunehmen, dass die Zahl der Toten und Verletzten (gemessen in verlorenen Lebensjahren) sogar rückläufig ist. Das liegt an immer besserer Vorsorge und verbesserten Hilfsangeboten. Die steigenden Sachschäden, gemessen in Geld, können auf einer steigenden Weltbevölkerung, steigendem Wohlstand und einer steigenden Zahl versicherter Schadensfälle beruhen.
Die Vorteile der industriellen Revolution werden nicht gesehen und fließen nicht in die Betrachtung der Klimaerwärmung ein. Die industrielle Revolution hat über zwei Jahrhunderte zu steigendem wirtschaftlichem Wohlstand, gestiegener Lebenserwartung, mehr Mittel für den Umweltschutz und weniger Klimatoten und klimaverursachten Sachschäden geführt. Um 1850 lebten schätzungsweise 1,3 Milliarden Menschen auf der Erde. Moderne Medizin und industrielle wie landwirtschaftliche Fortschritte beschleunigten das Bevölkerungswachstum stark. Die Fortschritte im Lebensstandard beruhen weitestgehend auf fossilen Brennstoffen. Davon profitierten auch die sogenannten einfachen Leute. Die Zunahme des allgemeinen Wohlstandes hat auch die Mittel zur Bekämpfung von Klimaschäden vergrößert.
Wie ist die Klimaerwärmung zu bewerten? Ist sie nur schlecht und schlimm? Es gibt keine objektive Instanz für eine solche Bewertung; der Mensch muss sich selbst behelfen. Ich als „Kind“ der industriellen Revolution habe durchgehend von ihr profitiert: gute Bildung, gute medizinische Versorgung, freie Berufswahl, hoher Lebensstandard (gemessen an der Zeit vor 1850). Mir geht es besser als meinen Vorfahren. Haben die Außentemperaturen Einfluss auf mein Leben genommen? Nein, weil ich durch Heizung eine mir genehme Umgebungstemperatur schaffen konnte, durch Kohle, Erdöl und Erdgas. Ich kann nicht sehen, dass eine Klimaerwärmung auf mich Einfluss gehabt hätte.
Von der Umweltbewegung wird beklagt, dass die Erwärmung abstrakt als Gefahr erkannt wird, real aber zu wenig zur CO₂-Reduzierung unternommen werde. Psychologisch ist die Diskrepanz leicht zu erklären. Zumindest in Mitteleuropa ist eine Erwärmung praktisch nicht spürbar. Zweitens wird von der überwältigenden Mehrheit ein hohes Einkommen und damit ein hoher Lebensstandard als wünschenswert erachtet. Das kurbelt den Konsum, der die Wirtschaft und die den CO₂-Ausstoß an. Wenn Gewerkschaften Forderungen stellen, dann immer die nach höheren, niemals nach niedrigeren Löhnen. Der Aussage, der Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung sei ohne Verzicht möglich, misstraue ich. Die Forderung nach „sofortigem Ausstieg“ birgt enorme wirtschaftliche Risiken auch in Form von Arbeitslosigkeit, die keine Regierung, die bei Verstand ist, einzugehen bereit ist. Warum sollten Menschen in den wohlhabenden Ländern, die ihren Wohlstand der Verwendung fossiler Energiestoffe verdanken, auf ihren Einsatz verzichten und damit ihren Wohlstand gefährden? Warum sollten Menschen in den ärmeren Ländern, die den auf fossilen Energiestoffen beruhenden Wohlstand in anderen Ländern sehen, auf ihren Wunsch verzichten, diesen Lebensstandard zu erreichen? Die reichen Länder wollen die armen Länder dazu überreden, den Weg der reichen Länder, über fossile Brennstoffe zu Wohlstand zu kommen, nicht zu beschreiten.
Die positiven Auswirkungen der Klimaerwärmung werden nicht gesehen. Die mutmaßlich negativen Wirkungen stehen im Mittelpunkt, die positiven Hauptwirkungen (Wohlstand etc.) werden ignoriert. Das links-grüne Milieu neigt dazu, nur die Probleme zu benennen; von Lösungen hört man wenig. Klimaerwärmung wird in unterschiedlichen Weltgegenden unterschiedliche Folgen haben. Unter anderem werden sich klimatisch gemäßigte Zonen auf der Nordhalbkugel nach Norden und auf der Südhalbkugel nach Süden verlagern. Es werden Gebiete ein milderes Klima bekommen, die bislang dünn besiedelt sind. Ein wärmeres Klima wird den Heizungsbedarf senken, was zur CO₂-Minderung beiträgt. Es wird erwartet, dass es zum Beispiel in Hannover in einigen Jahrzehnten im Durchschnitt ähnlich warm wäre wie heute in Florenz. UN-Generalsekretär António Guterres nennt das einen „schrecklichen Preis“, der zu zahlen wäre. Was aber soll daran schrecklich sein? Leben die Florentiner heute schlechter als die Hannoveraner? Mit der Situation zu hadern ist ein Stressfaktor. Man sollte lieber die Situation akzeptieren, vor allem, wenn wir sie nicht ändern können.
Global gesehen ist die Zahl der Todesfälle durch extreme Kälte höher als die durch extreme Hitze. Studien zeigen, dass Kälte immer noch mehr Todesopfer fordert, insbesondere in Regionen mit kaltem Klima und unzureichender Heizungsinfrastruktur. Laut der Forschung sind weltweit jährlich etwa 5 Millionen Todesfälle auf extrem niedrige oder hohe Temperaturen zurückzuführen, wobei der Großteil dieser Todesfälle auf Kälte zurückzuführen ist. Kälte ist besonders für ältere oder gesundheitlich vorbelastete Menschen gefährlich. Mit der Klimaerwärmung wird die Zahl der Kältetoten sinken. Dem Hitzetod kann durch Klimaanlagen vorgebeugt werden. Menschen ziehen in der Regel höhere Temperaturen den niedrigeren vor; man sieht das an den Urlaubszielen. Wenn aber die Klimaerwärmung neben den negativen auch positive Auswirkungen hat, dann ist ein globaler Klimaerwärmungsstopp kein vernünftiges Ziel. Man würde ja auf die positiven Auswirkungen verzichten. Es könnte sogar sein, dass die Klimaerwärmung global einen positiven Nettoeffekt hat.
Zudem ist der Klimawandel nicht das einzige globale Problem, das angegangen werden soll. Die Vereinten Nationen listen in ihrer „Agenda 2030“ 17 Ziele auf, zu denen globale Maßnahmen ergriffen werden sollen. Die ersten drei sind gegen Armut, gegen Hunger und für Gesundheit und Wohlergehen. Das 13. Ziel ist der Klimaschutz. Ausgaben für Gesundheit und Wohlergehen werden nicht ohne Kohledioxid-Emissionen abgehen, was dem 13. Ziel entgegensteht. Mit anderen Worten, nicht alle Ziele sind miteinander kompatibel.
Ein letztes Argument: Alle Ausgaben in Deutschland zur Verminderung der CO₂-Emission sind vergeblich. Selbst wenn die Bundesrepublik von heute auf morgen komplett auf fossile Brennstoffe verzichtet, wird dieser im Übrigen global nicht messbare Effekt vom Energiehunger Chinas und Indiens einerseits und 70 Millionen neuen Erdenbürger jährlich innerhalb kürzester Zeit kompensiert. Es wäre sinnvoller, Geld in einige wenige Gegenmaßnahmen zu stecken, wie Klimaanlagen, Erhöhung der Deiche und Züchtung trockenresistenter Nutzpflanzen.
„Verdrängung“ ist eine menschliche, allgegenwärtige Verhaltensweise. Es wäre einseitig anzunehmen, dass nur Klima-Skeptiker diesem psychischen Mechanismus unterliegen. Auch Klimaaktivisten verdrängen, und zwar andere Sichtweisen, die der Klimaerwärmung keine so hohe Bedeutung beimessen und die auf die möglichen positiven Aspekte hinweisen. Es gibt gewichtige Einwände gegen die Argumente der Klimaaktivisten. Warum wurde auf die fast emissionsfreie Kernenergie verzichtet und warum blockieren die Grünen die grüne Gentechnik, mit der schneller als bisher anpassungsfähige Nutzpflanzen gezüchtet werden können?
Schließlich, und damit komme ich zum Ende, halte ich es für bedenklich, Psychotherapiepatienten nahezulegen, in der Umweltschutzbewegung aktiv zu werden. Ängste, Überforderungs- und Ohnmachtsgefühle könnten so überwunden werden, heißt es vonseiten der Psy4F. Da selbst die Klimakleber die deutsche Bevölkerung nicht überzeugen konnten, halte ich einen Aktivismus von Psychotherapeuten für nicht angebracht. Aber wenn schon Therapeuten in der Therapie zum Thema Klimaerwärmung tätig werden wollen, dann meines Erachtens im Sinne einer Beruhigung. Es ist eher unwahrscheinlich, dass das von Klimaaktivisten und -experten vertretene „worst scenario“ eintreten wird. Ist denn das, wovor sich das links-grüne Milieu fürchtet, belegt? Oder wird uns nur Angst eingejagt? In den Medien und den sozialen Netzwerken wird meistens dramatisiert, und die Nutzer übernehmen die Ängste. Sie werden unreflektiert zu den eigenen gemacht. Es geht darum, medial entfachte Hysterie zu erkennen und zu relativieren. Das sollte die Haltung auch von Therapeuten gegenüber ihren Patienten sein. Therapeuten sollten ihnen die negativen psychischen Folgen aufzeigen, die entstehen, wenn man nur Schlagzeilen im Vorübergehen liest. Man sollte sich Zeit für einen langen Artikel in einer seriösen Zeitung oder Zeitschrift nehmen. Und dann mit Partnern und Freunden darüber reden.
In solchen Gesprächen kommt es darauf an, nicht emotional zu werden. Der andere darf nicht beleidigt werden, nur weil er anderer Meinung ist. Es kommt viel auf die Wortwahl an. Man sollte darauf achten, gute Argumente vorzubringen.
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