Autor und Psychologe Gerald Mackenthun (Berlin)
Autor und Psychologe Gerald Mackenthun (Berlin)

Renaissance der Kernenergie in der EU, nur die deutschen Grünen sträuben sich

Januar 2022

 

Seit dem Beginn des Jahres 2022 sind in Deutschland nicht mehr sechs, sondern nur noch drei Atomkraftwerke in Betrieb. Die Meiler in Brokdorf (Schleswig-Holstein), Grohnde (Niedersachsen) und Gundremmingen (Bayern) wurden wie geplant heruntergefahren. Noch am Netz sind Isar 2 nahe dem bayerischen Landshut sowie die Reaktoren im Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg. Aber auch sie haben nur noch eine kurze Restlaufzeit. Spätestens Ende dieses Jahres soll der 2011 nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima beschlossene Atomausstieg vollendet sein.

 

Zur Wirklichkeit gehört, dass fast überall auf der Welt neue Kernkraftwerke gebaut werden. Frankreich ist in seiner CO2-Reduktion schon viel weiter, vorwiegend wegen seiner vielen Kernkraftwerke, die fast emissionsfrei Strom liefern - und das zuverlässig seit Jahrzehnten. Eine klare Mehrheit der 27 EU-Staaten unterstützt die Entscheidung der EU-Kommission, Atomstrom und Gaskraftwerke als "bedingt nachhaltig" einzustufen und damit als förderungswürdig anzusehen. Wer Kohlekraftwerke abschalten will, kommt um Gas und Kernenergie nicht herum, sollen die Bürger und Betriebe weiterhin Strom beziehen. Auch der Weltklimarat rechnet in seinen Szenarien mit einem wachsenden Anteil von Atomstrom.

 

Die grüne Partei steht auf einmal nackt da. Noch einmal wird deutlich, dass die Grünen und Deutschland in Sachen Kernenergie einen Sonderweg beschritten haben. Die Gründe sind ideologischer Art. Kernenergie ist nicht gefährlich und die Endlagerung ein vernachlässigbares Problem. Die EU-Entscheidung ist für die Grünen ein Skandal, für alle anderen EU-Staaten (außer Österreich) eine logische Konsequenz aus dem Bemühen, die Klimaerwärmung aufzuhalten. Die Grünen möchten den europäischen Partnern nicht zugestehen, was sie selbst in Anspruch nehmen: über den Mix an Stromerzeugungsarten selbst zu bestimmen. Aber diese Partei hat sich selten um die Realität gekümmert. Die Einstellung zur Kernenergie hat sich in einigen EU-Staaten gewandelt. In Schweden und Dänemark beispielsweise steigen die Zustimmungswerte. Atomstrom ist klimafreundlich. Das sehen auch immer mehr Deutsche so; die Zahl der Gegner sinkt Umfragen zufolge. Kernenergieabfälle können gefahrlos oberirdisch gelagert werden. Die Klimakrise wird immer akuter, der Kohleausstieg dringlicher. Atomkraft ist die ideale Lösung, insbesondere für die Absicherung der Grundlast. Grüner Wasserstoff ist Zukunftsmusik, kleine und noch sicherere Atomreaktoren lassen noch auf sich warten. Da ist das Weiterlaufen bestehender Anlagen die naheliegende Lösung. 

 

Die Grünen sind jetzt an der Regierung und wollen Volkspartei werden. Noch haben sie nicht bewiesen, dass mit dem gleichzeitigen Ausstieg aus Kohle und Kernenergie und dem baldigen Verzicht auf Gas die deutsche Energieversorgung aufrechterhalten werden kann.. 

Bau von sicheren Mini-Reaktoren schreitet voran

Mai 2021: Die Entwicklung von Mini-Reaktoren, die preiswerter und sicherer sind als die bislang gebauten kernenergetischen Großkraftwerke, schreitet voran. An Small Modular Reactors (SMR) wird weltweit geforscht.  Ihrer Leistung liegt bei etwa ein Drittel der Großreaktoren und sollen etwa zehnmal sicherer sein als diese. Schon jetzt sind moderne kerntechnische Anlagen etwa zehnmal sicherer als der Flugverkehr. Kernenergie ist zentral, um das Problem des Klimawandels zu lösen. Die Belieferung mit Strom aus Kernkraftwerken ist nicht von Wind und Sonne abhängig. Der Bau eines kleinen Kernkraftwerks wird nach derzeitigem Preisstand mit 2 Milliarden englische Pfund angegeben.

 

Nach Angaben der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) laufen in zahlreichen Ländern etwa fünfzig Forschungs- und Entwicklungsprojekten zu Klein- oder Mini-Reaktoren. Die IAEA definiert SMR als Kleinreaktoren von bis zu 300 Megawatt Leistung. Sie sieht darin eine sinnvolle Weiterentwicklung.  Am weitesten ist man in Argentinien, China und Russland. In Sibirien hat sogar schon ein Minireaktor auf einem Schiff probeweise den Betrieb aufgenommen, der eine Kleinstadt mit Elektrizität versorgt. Die Anti-Atomlobby sieht natürlich auch in dieser Weiterentwicklung eine Gefahr.

 

Die technisch weniger komplexen Kleinreaktoren, die in Fabriken in Serie gefertigt und vormontiert und vor Ort zusammengesetzt werden könnten, sollen billiger werden als herkömmliche Großreaktoren. Deren Kosten laufen oft aus dem Ruder. Anders als Deutschland, das 2022 die letzten Atomkraftwerke vom Netz nehmen wird, planen viele Staaten den Ausbau.

Zehn Jahre danach: Niemand gestorben und nur 200 mögliche Schilddrüsen-Krebsfälle

Mai 2021: Laut offiziellen Angaben töteten die Wassermassen des Tsunamis nach dem Erdbeben 15 899 Menschen aus 22 Präfekturen, 2527 gelten als vermisst. Hunderttausende Küstenbewohner verloren ihre Häuser. 4198 Straßen werden zerstört, 116 Brücken, 45 Deiche, 29 Zugstrecken. Die Welt kämpft seit Anfang 2020 mit einer globalen Pandemie, die bisher 2,5 Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Ein Reaktorunglück ohne vergleichbare Opferzahlen erscheint da wie ein Luxusproblem.  Die Katastrophe von Fukushima brachte nur Deutschland den Atomausstieg, alle anderen Länder zeigten sich unbeeindruckt.

Nach Einschätzung von Wissenschaftlern hat die zügige Evakuierung dazu beigetragen, dass die Bevölkerung der Umgebung wenig Strahlung aus der Reaktorkatastrophe abbekommen hat. Es kam zu keiner eindeutigen Zunahme an Krebsfällen. 173 Arbeiter wurden vor Ort so stark verstrahlt, dass sie ein leicht erhöhtes Risiko haben, infolge der Radioaktivität einen Tumor zu bekommen. Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Gros der evakuierten Japaner weniger als 10 Millisievert abbekam (das ist in etwa die vierfache jährliche Strahlendosis der Bundesrepublik, ein vernachlässigbarer Wert), so steht es auch im aktuellen UNSCEAR-Report.

Zum Vergleich: Arbeiter, die in Deutschland in einem Atomkraftwerk oder einem Forschungsreaktor arbeiten, dürfen pro Jahr 20 Millisievert aufnehmen. Und noch ein Vergleich: Von 1000 Personen, die mit 100 Millisievert verstrahlt wurden, entwickeln nur vier bis acht im Lauf ihres Lebens einen tödlichen Tumor, der auf die Radioaktivität zurückgeht. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die durch Reihenuntersuchungen an 300.000 Kindern gefundenen 200 Schilddrüsenkrebsfälle auf die Strahlung aus der Reaktorkatastrophe zurückgehen, urteilt der neueste UNSCEAR-Bericht.

Keine transgenerationalen Effekte der ionisierenden Strahlenbelastung durch den Tschernobyl-Unfall

Mai 2021: Mehrere internationale Wissenschaftler untersuchten, ob Kinder von Eltern, die nach dem Tschnobyl-Unfall als Aufräumarbeiter beschäftigt oder beruflich und umweltbedingt ionisierender Strahlung ausgesetzt waren, nach dem Unfall mit mehr Keimbahn-Mutationen (DNMs) geboren wurden. Die Ganzgenom-Sequenzierung von 130 Kindern (geboren 1987-2002) und ihren Eltern zeigte keine Erhöhung der Raten, Verteilungen oder Arten von DNMs im Vergleich zu früheren Studien. Sie fanden keine Erhöhung der Gesamt-DNMs unabhängig von der kumulativen gonadalen väterlichen (Mittelwert = 365 mGy, Bereich = 0-4.080 mGy) oder mütterlichen (Mittelwert = 19 mGy, Bereich = 0-550 mGy) Exposition gegenüber ionisierender Strahlung vor der Empfängnis. Die Mittelwerte entsprechen grob gesprochen der 150- bzw. 8-fachen jährlichen natürlichen Strahlendosis in der Bundesrepublik. Das Wissenschaftlerteam kommt zu dem Schluss, dass es über diesen Expositionsbereich keine Beweise für eine wesentliche Auswirkung auf Keimbahn-DNMs beim Menschen gibt. Das deute eine nur minimale Auswirkung auf die Gesundheit der nachfolgenden Generationen hin.

(Quelle: https://science.sciencemag.org/content/early/2021/04/21/science.abg2365)

 

Für die Anti-Atomkraft-Bewegung war klar, dass solche Mutationen verfügbar sind in einem Report über die gesundheitlichen Folgen von Tschernobyl vom April 2006 heißt es dass die Erbgutveränderungen zu einer Belastung künftiger Generationen führen werde. Herausgegeben wurde diese Schrift von der Gesellschaft für Strahlenschutz und der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW).Die Broschüre endet mit einem Zitat von Bertolt Brecht aus dem Schauspiel „Galileo Galilei“: „Wer die Wahrheit nicht weiß, ist nur ein Dummkopf. Aber wer sie kennt und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.“

(Quelle: https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/Gesundheitliche_Folgen_Tschernobyl.pdf)

Radioaktives Wasser soll ins Meer geleitet werden

April 2021: Die japanische Regierung hat entschieden, dass das behandelte Kühlwasser aus der Atomkraftwerksruine Fukushima Daiichi in den Pazifik abgelassen wird. Wegen der Verdünnung ist das Manöver faktisch risikolos. Es handelt sich um eine Million Kubikmeter weitgehend von radioaktiven Stoffen gereinigtes Kühlwasser. Die etwa 1000 Behälter stehen derzeit auf dem Werksgelände und behindern den Rückbau des Kernkraftwerks. Die mehr als eine Million Kubikmeter Wasser entsprechen in etwa der Füllung von 500 olympischen Schwimmbecken. Verglichen mit den Weiten des Pazifiks ist das ein Fingerhut voll. Natürlich sind Umweltschützer empört.

Acht Jahre später sind die meisten Bewohner zurückgekehrt

März 2019: Ungefähr 160.000 Einwohner in und um Fukushima mussten ab März 2011 wegen der radioaktiven Strahlung fliehen. Bereits 130.000 von ihnen konnten bis Mitte 2019 in ihre Häuser oder in die Provinz zurückkehren. Die Aufräumarbeiten laufen, der Verkehr rollt. Die zusätzliche Radioaktivität aus dem Unglücksreaktor ist in weiten Teilen auf Null zurückgegangen. In einem Video zu einem FAZ-Artikel vom 15. April 2019 wird die normale Radioaktivität mit 0,085 MikriSievert pro Stunde (gleich 0,75 mSv/Jahr) angegeben. Das ist weniger als in Deutschland. An belasteten Stellen außerhalb des Reaktorgeländes wird die Strahlungsintensität mit 0,821 MikroSievert/Stunde beziffert, umgerechnet ungefähr 7,2 mSv/a. Diese Dosis kann als Dauerdosis für unendlich lange Zeit gut vertragen werden.

Gerald Mackenthun

Fukushima. Kernenergie ist beherrschbar

124 S., BoD, 3., überarbeitete und korrigierte Auflage September 2016; 9,99 Euro (Print), 5,99 Euro (Kindle)

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2011/2016

 

„Atomenergie ist gefährlich!“ Dazu mal eine Frage: Im Vergleich zu was? Im Vergleich zum Autofahren, zu anderen Stromerzeugungsarten, zum Rauchen? Und wie wird die Gefährlichkeit gemessen? In Verstrahlung, also Verletzung? Oder in Todesfällen? Oder an der Zahl der Evakuierten?

     „Atomenergie ist nicht beherrschbar!“ Ist es einzig die Atomenergie, die nicht beherrschbar ist? Oder sind auch andere Techniken nicht beherrschbar? Welche Techniken könnten denn als beherrschbar gelten? Und wie wird sie definiert, diese Beherrschbarkeit? Absolute Unfallfreiheit? Völlige Fehlerfreiheit vom ersten Spatenstich bis zur Demontage? Welche Technik könnte dazu als Beispiel angeführt werden?
     Nein, die Argumentation der Kernkraftgegner ist absurd. Sie ist neurotisch fixiert auf eine Gefährlichkeit und auf eine Unbeherrschbarkeit, die so nicht existiert. Die Gegner bauten 30 Jahren lang einen Popanz auf, der jetzt demontiert wird. Sie schufen einen Teufel, eine Schimäre, die mit dem Ausstiegsbeschluss vom Sommer 2011 scheinbar exorziert wurde.
     Die ganze Mühe ist umsonst. Denn Kernenergie ist nicht sonderlich gefährlich und sie ist beherrschbar. Gemessen in Verletzten, Toten und Evakuierten ist Kernenergie nicht gefährlicher als alle anderen Stromerzeugungsarten und deutlich weniger gefährlich als Rauchen, Autoverkehr, mangelnde Bewegung, Diabetes oder Übergewicht. In den gut 50 Jahren der kommerziellen Kernenergienutzung hat es gerade mal ein halbes Dutzend erwähnenswerter Unglücke und nur eine Katastrophe — Tschernobyl — gegeben. Aber wie viele Menschenleben hat die Kohleverstromung gefordert, wie viele sind an Staublunge eingegangen, welche enormen Flächen gingen wegen des Kohletagebaus verloren!
     Seit mehr als dreißig Jahren versorgen Kernkraftwerke uns überaus zuverlässig mit Strom. Sie sparen jedes Jahr so viel Kohlendioxid ein wie der gesamte Verkehrssektor emittiert, und sie verantworten im Gegensatz zur Importkohle nicht Jahr für Jahr Tausende von Todesopfern. Die vorzeitige Abschaltung deutscher Kernkraftwerke ist unnötig und falsch.

 

Über den Autor

 

Gerald Mackenthun war fast 25 Jahre Wissenschaftsredakteur. Seit 2004 ist er niedergelassener Psychotherapeut in Berlin.

Inhaltsübersicht

 

Vorwort           7

Atomunglück in Japan  8

Das geschah in Fukushima       11

Deutsche Wirklichkeitsverweigerung   15

Messungen um Fukushima herum       18

Erbarmungslose Fürsorglichkeit          20

Sterberate in Fukushima drastisch reduziert     26

Weniger Schilddrüsen-Anomalien in Fukushima          28

Positiver Effekt geringer Strahlung       32

Hiroshima und Nagasaki           35

Bericht aus dem Krisengebiet  36

Deutsche Reaktionen   39

Journalistische Enthemmung   41

Deutsche Weltuntergangssehnsucht     44

Schirrmachers Philippika gegen deutsche Kernkraftbefürworter          47

... und eine Antwort darauf       51

Vergleich mit Tschernobyl      53

Strahlenerkrankungen und Todesfälle in Tschernobyl  55

Hundertprozentige Sicherheit gibt es nie         59

Risiken lauern überall  63

Nie lebte der Mensch sicherer als heute           64

Sind Uranvorkommen endlich?           66

Sonnenenergie ist nicht beherrschbar  68

Murphys Gesetz           70

Restrisiko: Falsch verstandene Sicherheit          72

Was man im Nachhinein alles vorher wissen konnte    76

Fast vergessen: Exxon Valdez und  Deep Water Horizon          78

Klimaforscher für Kernenergie           81

Ethik und tatsächliches Verhalten         84

Unumkehrbarkeit des Atomausstiegs    86

Nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert           88

Der Stromverbrauch wird weiterhin steigen     92

Verdrängtes Problem Übervölkerung   95

Beruhigende Nachrichten aus Fukushima        99

Berichte der Internationalen  Atomenergieagentur IAEA          105

Die Suche nach einem Endlager          107

Was wird in zehn Jahren sein?  109

Atomkraft - Ja, bitte!      113

Zu guter Letzt: Acht Thesen zur Kernenergie in Deutschland  115

Quellenhinweise         117

Vergleichswerte           121

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Dipl.-Politologe

Dipl.-Psychologe

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