Autor und Psychologe Gerald Mackenthun (Berlin)
Autor und Psychologe Gerald Mackenthun (Berlin)

Jeremy Rifkin wünscht den Kapitalismus zur Hölle

Der will aber einfach nicht untergehen.

Rifkin, Jeremy (2022). Das Zeitalter der Resilienz. Leben neu denken auf einer wilden Erde. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. Frankfurt am Main: Campus Verlag.

Gerald Mackenthun (Dezember 2022)

 

Der US-amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin ist bekannt für seine großartigen Entwürfe zum Niedergang des Kapitalismus und einem neuen globalen Zeitalter der grünen Ökonomie. In linksintellektuellen Kreisen hat er sich damit einen guten Namen gemacht. Für sie ist die Kapitalismuskritik das, was Verschwörungstheorien im rechten Spektrum sind. Beginnend mit „Entropie – Ein neues Weltbild“ (1982) und „Genesis zwei“ (1986) hat Rifkin jeweils im Abstand einiger Jahre Bücher vorgelegt, in denen er den Niedergang des Kapitalismus sehnlichst herbeiwünscht. 1995 prophezeite er „Das Ende der Arbeit“, 2000 warnte er vor der vollständigen Ökonomisierung „unseres Lebens“ und sagte „Das Verschwinden des Eigentums“ voraus, 2002 entwarf er die Vision einer Wasserstoffwirtschaft, 2010 warb er für „Die empathische Zivilisation“ und 2020 prophezeite er das Kollabieren der „fossil befeuerten Zivilisation“ für das Jahr 2028. Diese Prognose sollte man sich merken.

 

2022 nun also „Das Zeitalter der Resilienz“. Resilienz ist ein die Medizin eingewanderter Begriff aus der Ökonomie. Er bezeichnet die Fähigkeit, mit Belastungen gut umgehen zu können. Als gemeinsamen Nenner der gegenwärtig grassierenden Krisen identifiziert Rifkin das „Prinzip Effizienz“. Effizienz sei zum Kennwert der Industrialisierung geworden, zum Maß aller Dinge, während darüber vergessen wurde, die ökologischen Lebensgrundlagen zu beachten. Resilienz bedeute auch Vorsorge, beispielsweise ausreichend Gesichtsmasken für den Fall einer Pandemie oder Mikrochips für den Fall einer Lieferunterbrechung zu horten. Das Gegenmittel ist die titelgebende Resilienz, die er in der Natur am Walten sieht. Das „Netz des Lebens“ sei mit vielen Reserven ausgestattet und habe die Fähigkeit, sich anzupassen und zu verändern. Die Leistung von biologischen Systemen sei nicht auf Effizienz ausgerichtet.

 

Positiv kann erwähnt werden, dass Rifkin unterschiedliche Ideen miteinander in Beziehung setzt, was zu einigen neuen Überlegungen führen könnte. Was daraus folgt, ist eine große Enttäuschung. Nicht nur, dass er schon viele seiner früher geäußerten Hypothesen recycelt – seine Prämissen sind einfach falsch. Wenn es eine Spezies gibt, die ihre Anpassungsfähigkeit bewiesen hat, so ist es der Homo sapiens. Die Effizienz in der Produktion ist für einen Produzenten mehr oder weniger zielgebend, mit dem Erfolg, dass immer mehr Waren für immer mehr Menschen produziert werden können. Verschwendung ist nicht im Sinne der Produzenten, wenngleich Konsumenten, sofern sie über genug Geld verfügen, durchaus zur Verschwendung  neigen können. Über die ökologischen Grundlagen wird in der westlichen Welt seit 50 Jahren debattiert, wobei die Hauptdeterminante des Ressourcenverbrauchs geflissentlich übersehen wird: die stetig steigende Zahl der Erdenbewohner, die dennoch ernährt werden. Auch im Detail kann Rifkin nicht überzeugen. Warum sollten Atemmasken für eine Epidemie vorrätig gehalten werden, deren Kommen niemand vorhersehen konnte?

Resilienz scheint ein grundlegend unbrauchbarer Begriff zu sein, um ein neues Umweltbewusstsein, eine neue Wissenschaftsmethodik oder konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Produktion hervorzubringen. Rifkin überhöht die Natur geradezu mythisch. Das Wirken der Natur ist mit Resilienz nicht wirklich gut beschreibbar. Jeder Organismus ist an seine Umgebung mehr oder weniger gut angepasst und hat in seinem organischen Rahmen Möglichkeiten, sich an veränderte Lebensumstände anzupassen. Fallen diese zu heftig aus, gehen Spezies, Landschaften und Lebensräume zugrunde. Die Natur ist nicht zimperlich. Die Effizienz des Menschen zeigt sich in seinen zunehmenden Aufwendungen zur Lebenssicherung und Risikominderung. Innerhalb kurzer Zeit wurde in einer beispiellosen globalen Kooperation ein Impfstoff gegen die Corona-Pandemie entwickelt, produziert und auf den Markt gebracht.

 

Natürlich könnte man die Widerstandskräfte des Menschen noch weiter erhöhen, was aber nur um den Preis höherer Kosten zu erreichen ist. Schon jetzt wird sehr viel Geld für Natur- und Umweltschutz sowie Daseinsvorsorge ausgegeben; die Ausgaben dürften in den nächsten Jahren noch steigen. Die Wirtschaft arbeitet weiter an ihrer Effizienz, beispielsweise den Materialeinsatz pro produziertes Stück zu reduzieren oder wichtige Güter weltweit anzubieten. Die Reaktionsfähigkeit des Gesamtwirtschaftssystems ist geradezu atemberaubend, jedenfalls im Vergleich zu früheren Zeiten. Die Menschheit hat sich durch alle Hungersnöte, Seuchen und Kriegen als außerordentlich resilient erwiesen.

 

Rifkin ist nicht der einzige, der das Ende und den Untergang des Kapitalismus prophezeit. Bislang handelt es sich dabei ausschließlich um Fehlprognosen. Wenn es ein Wirtschaftssystem gibt, welches sich durch Resilienz auszeichnet, dann die soziale Marktwirtschaft. Diese als „kapitalistisch“ zu bezeichnen, geht an ihrem Kern vorbei. Linksintellektuelle machen aber im Allgemeinen keinen Unterschied zwischen den kritikwürdigen Zuständen im Manchesterkapitalismus des 19. Jahrhunderts und den modernen marktwirtschaftlichen Systemen, in denen der Staat eine wesentliche Rolle bei der gerechten Verteilung von Ressourcen und Chancen spielt, das Wirtschaftsgeschehen lenkt und das soziale Netz immer weiter ausgespannt. Alle Versuche, Probleme durch staatliche Planung zu lösen, sind in der Praxis kläglich gescheitert. In der Pandemie hat sich die Überlegenheit des Marktsystems wieder überzeugend bewiesen. Autoren wie Rifkin werden aber wohl niemals die Komplexität des Wirtschaftsgeschehens und die Funktionsweise des Marktes sowie die Rolle des Staates verstehen. Dieses Buch zu lesen ist eine Zeitverschwendung.

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© Gerald Mackenthun, Berlin, Februar 2011

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